„Scham für Zärtlichkeit: Warum ein einfacher Kuss meine Familie spaltete“ - Imagineglobal

„Scham für Zärtlichkeit: Warum ein einfacher Kuss meine Familie spaltete“

Ich war wirklich verblüfft über die Reaktion. Es war ja nicht so, als hätten wir uns in den Mittelpunkt gestellt. Wir haben uns immer Zuneigung gezeigt – ein einfacher Kuss auf die Lippen, nichts Ungewöhnliches für uns. Doch irgendwie hatte diese kleine Geste einen Sturm der Empörung in meiner Familie ausgelöst.

Ich saß da und starrte auf die Nachrichten, die immer wieder reinkamen. Die Kommentare reichten von „Das ist in deinem Alter unangemessen“ bis hin zu „Ihr solltet ein besseres Vorbild für die jüngere Generation sein.“ Ich war geschockt. Gibt es wirklich ein Alter, ab dem es nicht mehr akzeptabel ist, seinen Ehepartner zu küssen?

Meine Frau Clara merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, als sie den Raum betrat und mich mit einem Stirnrunzeln auf mein Handy blicken sah. Ich zeigte ihr die Nachrichten, und sie hob verwundert die Augenbrauen, genauso verwirrt wie ich.

„Sie sind sauer, weil wir uns geküsst haben? Nach 40 Jahren Ehe?“ fragte sie ungläubig.

 

„Ich verstehe es auch nicht“, sagte ich und warf mein Handy aufs Sofa. „Wir haben so viel gemeinsam durchgestanden, und sie stört das?“

Clara seufzte und setzte sich neben mich. „Es ist merkwürdig, wie Leute glauben, sie könnten vorschreiben, was richtig oder falsch ist, besonders wenn es um unsere Beziehung geht. Wir waren immer gut zueinander, und wenn ein Kuss sie stört, sagt das mehr über sie aus als über uns.“

Ich nickte, aber es ließ mir keine Ruhe. Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. Hier wurde ich für etwas verurteilt, das für mich selbstverständlich war: Liebe zu zeigen. Kein einziger Tag in meinem Leben hatte ich mich für unsere Liebe geschämt, und jetzt sollte es auf einmal unpassend sein, weil ich 65 bin?

Später am Tag entschied ich mich, das Thema direkt anzusprechen. Ich rief meinen Bruder an, der das Foto überhaupt erst herumgeschickt hatte. Als er abnahm, kam ich gleich zur Sache.

„Was ist das Problem daran, dass ich meine Frau auf deiner Feier geküsst habe?“

Er zögerte. „Es ist nicht wirklich ein großes Problem… aber naja, die Leute erwarten das eben nicht… von älteren Paaren. Es hat manche wohl unangenehm gemacht.“

Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. „Unangenehm? Es war ja nicht so, als hätten wir uns daneben benommen! Wir haben uns geküsst, wie jedes andere Paar auch. Warum ist das auf einmal ein Skandal?“

Er stotterte etwas vor sich hin. „Ich weiß nicht… es ist halt, wie die Leute es empfinden. Ich wollte keine Unruhe stiften.“

„Tja, das hast du aber“, sagte ich entschieden. „Ich bin seit 40 Jahren mit Clara verheiratet. Wir haben eine Familie großgezogen, schwere Zeiten durchgestanden und ein gemeinsames Leben aufgebaut. Wenn ich meine Frau in der Öffentlichkeit küssen will, dann mache ich das. Wenn das jemanden stört, kann er weggucken. Wir hören deswegen nicht auf.“

Am anderen Ende herrschte Schweigen. Schließlich murmelte mein Bruder eine Entschuldigung. „Du hast recht. Ich hätte kein großes Ding draus machen sollen. Ich rede mit den anderen.“

Als ich aufgelegt hatte, fühlte ich eine Mischung aus Wut und Erleichterung. Ich würde mich von niemandem schlecht fühlen lassen, weil ich meine Frau liebe. Als Clara zu mir kam, zog ich sie zu mir und gab ihr einen weiteren Kuss.

„Sollen sie doch reden“, sagte ich lächelnd. „Ich schäme mich nicht, und das werde ich auch nie.“

Clara lächelte zurück. „Ich auch nicht.“

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